One-Artist-Show
ART Karlsruhe 2023 / 4.Mai - 7.Mai 2023
Galerie Thomas Hühsam Halle 2 E 13
Ulysses Belz: "Rote Raumzeit" / 23. September - 10. November 2023
Galerie Thomas Hühsam, 63067 Offenbach am Main, Frankfurter Str. 61
Ulysses Belz im Atelier auf Mallorca mit "Der Mexikaner", 300 x 170 cm, 1993
Galerist Thomas Hühsam im Gespräch mit Ulysses Belz zu seiner Ausstellung "Rote Raumzeit" ab 23. September 2023 in Offenbach / Main.
(Ausschnitte)
Ulysses Belz war bei den ersten Künstlern, die 1990 in der gerade eröffneten Galerie Thomas Hühsam in Frankfurt ausgestellt wurden. Im Herbst 2023 zeigt der Maler, nach über 30 Jahren, zum zweiten Mal bei uns Bilder. Ulysses hat für diese Rückschau eine sehr persönliche Auswahl seiner Malerei aus drei Jahrzehnten zusammengestellt. Darunter sind Werke, die sein Atelier bisher nicht verlassen haben. Die Malerei von Ulysses Belz ist Aufzeichnung des eigenen Erlebens, die Chronik eines Einzelgängers, der aus ästhetischen Entwürfen heraus in die Zukunft blickt.
TH
Ulysses, wir haben uns Ende 1989 kennengelernt, als in Berlin die Menschen auf der Mauer tanzten …
UB
Stimmt. Frankfurt war weit weg vom politischen Brennpunkt. Aber Frankfurt hatte höchste kulturelle Strahlkraft: William Forsythe entwickelte an der Oper seine genialen Ballette, Jan Fabre inszenierte im TAT, Per Kirkeby unterrichtete an der Städelschule. In der Schirn zeigte Christoph Vitali den Russischen Konstruktivismus in nie gesehener Breite. Im MMK hing damals Gerhard Richters Oktober-Zyklus! Im Portikus von Kasper König deutete sich der kommende Höhenflug der neuen deutschen Photographie an. Und so weiter! Es gab in Frankfurt an jeder Ecke künstlerische Spitzenleistungen zu sehen!
TH
Die Galerien sind damals aus dem Boden geschossen. Die Stadt wollte große Namen an den Main holen. Ich habe mit "Experiment Kunst" in Bornheim in der oberen Sandstraße angefangen. Die Eröffnungen bei mir waren immer voll. Bald kam auch Jean-Christophe Ammann vorbei.
Was hast Du damals in Deinem Atelier in Fechenheim gemacht?
UB
Ich habe Fußballclubs und Asylanten gemalt, Türkenfamilien in ihren Wohnzimmern vor Fototapeten, Menschen am Fernseher, Campingplätze — also viel Farbe und viel Welt verbraucht. Mit der Malerei bin ich frontal auf den Alltag zugesteuert. Der Crash, der dabei entstand, war das Bild. Die Fußballclubs zeigte Hertie auf der Zeil in allen seinen Schaufenstern, später das KaDeWe in Berlin. Die Galerie Barbara Gres in der Eschersheimer Landstraße hatte den Mut, 1989 meine Asylantenbilder auszustellen. Ich habe damals den Kontakt mit Ausländern gesucht. Ihre Ratlosigkeit vor der deutschen Realität war auch die meine.
Außerdem habe ich Manifeste geschrieben …
TH
Was stand da drin?
UB
Daß der Individualismus verschwinden und eine Artgenossenschaft ihn ersetzen würde.
Die Spezies im Niedergang. Solche Sachen.
TH
Woran hast Du das in der Kunst festgemacht?
UB
Jeffrey Deitch hat 1992 eine Wanderausstellung mit dem Titel "Post Human" konzipiert. Die kam auch in die Deichtorhallen in Hamburg. Die Ausstellung war mäßig, aber der Titel wurde berühmt. Der Mensch betrachtete sich schon als Figur im Abgang. Was würde das Bio-Engineering und der Optimierungswahn noch von uns übriglassen? Das Lebensgefühl einer "Last Generation" hatten wir auch schon.
TH
Du hast Frankfurt 1991 wegen einer Frau verlassen und bist mit ihr nach Madrid gezogen.
UB
Mir war klar, daß meine Entscheidung, Frankfurt für Madrid zu verlassen, weitreichende Folgen für mich haben würde. Madrid war damals eine rückständige, isolierte Metropole. Den Aufbruch in die Demokratie hatten die Spanier zwar geschafft. Der Diktator lag seit vierzehn Jahren in seinem monumentalen Grab in den Bergen, das politische Gefangene ihm hatten errichten müssen. Doch die Madrider Gesellschaft war ignorant, spießig und Ausländer nicht gewohnt. Niemand sprach eine Fremdsprache. Mit Spanisch mußte ich bei null anfangen. Aber es gab den Prado, der meine neue Welt wurde.
TH
Aus Madrid stammt der "Partner", der jetzt bei uns zu sehen ist.
UB
Ja — erstmals ausgestellt! Die Reihe der großformatigen "Cyborgs" habe ich in Madrid gemalt, ohne die mindeste Chance, dort verstanden zu werden. Dann kamen Peter Weibel, Catherine David und Achim Freyer in mein Atelier und waren beeindruckt. Ich habe noch lange von den Frankfurter Impulsen gezehrt, besonders vom Radikalen Konstruktivismus, der mir geholfen hat, die Fixierung auf das Expressive zu überwinden. Der "Partner" entwickelt jetzt, nach 30 Jahren, sein volles Momentum.
TH
Wie lange seid ihr in Madrid geblieben?
UB
Sieben Jahre! Dann kam der Umzug nach Riga / Lettland. Es ging auf die Jahrtausendwende zu und die Auswirkungen der digitalen Umwälzung, die abnehmende Weltverbundenheit, wurden immer deutlicher. Ich arbeitete damals an einer skeptischen Figuration, die sozialkritisch zupacken konnte, aber selbst nicht mehr verbindlich war. Bewußtsein war mein Thema. In diesen Bildern war schon die mentale Drehung drin, das Denken über das Denken, was ich später in Paris ausgebaut habe.
Der Münchner Galerist Alfred Gunzenhauser sah meine Arbeiten in Riga im Museum für Ausländische Kunst bei einer Städtereise durch die baltischen Staaten, und es begann ein Briefaustausch mit ihm. Bei Gunzenhauser habe ich dann 2003 erstmals ausgestellt. Er war ein leidenschaftlicher Sammler klassischer Moderne aber auch sehr aufgeschlossen für Neues. Durch ihn habe ich das wichtige Werk von Uwe Lausen kennengelernt, das er fast komplett aufgekauft hatte.
TH
Wenn ich mir Deine Entwicklung ansehe, sind Deine Arbeiten immer intellektueller geworden.
UB
Ich habe öfter als andere Maler meine Prämissen ausgetauscht, mich nie mit einer Masche konsolidiert. In München sollte ich an der Ausstellung "Zurück zur Figur" teilnehmen (HYPO-Kunsthalle München, 2006). Das hat mich alarmiert, denn an einem "Zurück-zu" wollte ich keinesfalls beteiligt sein. Es begann ja gerade das Jahrzehnt der Hirnforschung, welche die letzten Gewissheiten, wie den "Freien Willen" etc. relativierte. Es brach eine großartige Panik aus um die Frage: "Gibt es überhaupt 'Realität' oder handelt es sich um metaphorische Beschreibungen für neuronale Phänomene?" Das muß einen Maler zutiefst erschüttern, zumindest interessieren. Maria Lassnig hat ihr überragendes Werk diesem Zweifel abgewonnen.
TH
Aus Deiner Pariser Zeit haben wir "Plan B" hier, außerdem "Zusatzbett", den "Botenstoff", der mir am meisten wie gemalte Wissenschaft aussieht. Du hast in Paris eine Wissenschafts-Ästhetik entwickelt, die dann im Kunstverein Marburg 2011 in einer Gruppenausstellung gezeigt wurde. Was hat Paris zu dieser neuen Ästhetik beigetragen?
UB
Als Kunststadt würde ich sagen: garnichts. Paris hatte sich in seine große Vergangenheit eingekapselt und der Kunstmarkt war mit sich selbst beschäftigt. Ich hatte guten Kontakt zur Bewußtseinsforscherin Joëlle Proust am Institut Jean Nicod und habe alles darangesetzt, aus erster Hand über die Entwicklungen in den Neurowissenschaften informiert zu bleiben. Da war Frankreich weit vorn, mit Forschern wie Pierre Changeux, Luc Dehaene und eben Joëlle Proust mit ihren Arbeiten über die Metakognition. Wir haben gemeinsam die Ausstellung "Aires cérébrales" konzipiert, die sie in der Galerie Immanence in Montparnasse auch persönlich eröffnet hat. Es war mir immer wichtig, die Malerei neu in eine sich verändernde Zeit hinein zu setzen.
TH
Gibt es ein typisches Bild aus Paris?
"Selbstbildnis, den Himmel betrachtend" (2008) ist in Paris entstanden, vielleicht mein wichtigstes Bild überhaupt. Es zählt zu den bedeutenden Selbstbildnissen der Jahrtausendwende, daran besteht kein Zweifel.
TH
Was ist mit Deinem "Selbstbildnis" passiert?
UB
Es wurde nach Philadelphia / USA verkauft.
TH
Wie siehst Du Kunst und Gesellschaft heute?
UB
Das brave Schwein geht von allein zum Metzger.
Das perfekte Schwein schlachtet sich selbst.
Meine Hoffnung liegt unverändert beim Individuum.
Raus aus dem Mainstream — weg vom digitalisierten Millionenheer!
Das Einzelne muß sich stärken, im Strom der Mitläufer und Komplizen.
Kunst wurzelt im Widerstand, nicht im Mitmachen.
© Galerie Thomas Hühsam 2023